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Info-Veranstaltung im Landgasthof Purkering

Robert Mühlbauer und Florian Amann vom Landratsamt Traunstein, Trostbergs Bürgermeister Karl Schleid und Pfarrer Michael Witti (von links) appellieren an die Bürger, solidarisch mit den Asylbewerbern zu sein, die Trostberg ab Anfang Dezember aufnimmt. Fotos: fam

„Nehmen wir sie doch einfach auf“

Bürger sagen 35 Asylbewerbern spontan Hilfe zu

von Michael und Andreas Falkinger

Mehr als 50 Millionen Menschen sind nach Uno-Schätzungen Ende letzten Jahres auf der Flucht gewesen. Tendenz steigend. Mehr als 50 Millionen Menschen, die alles hinter sich lassen mussten – Freunde, Familie, Hab und Gut. Die meisten von ihnen taten das nicht freiwillig: Ihr Leben und das ihrer Kinder, ihrer Eltern, ihrer Geschwister war bedroht. Tod oder Flucht. Welche dieser Alternativen würden wir in einer ähnlichen Situation wählen? Und, um das mal näher an uns ranzulassen: Welche dieser Alternativen haben viele unserer Großeltern gewählt? Da wäre niemand auf die Idee gekommen, von Armutsmigration und Wirtschaftsflüchtlingen zu reden.

[sam id=“8″ codes=“true“]Selbstverständlich sind die 35 Asylsuchenden, die im früheren Gasthaus Hurmer in Wäschhausen aufgenommen werden, eine Zäsur für Trostberg. Selbstverständlich ist nachvollziehbar, dass es Vorbehalte gegenüber den Fremden gibt. Fremden gegenüber gibt’s immer Vorbehalte. Wir werden mit Armut konfrontiert werden, mit Elend, mit Not. Schwer erträglich, wenn wir es in der „Tagesschau“ serviert bekommen. Aber vor unseren Nasen, in unserer direkten Nachbarschaft, mitten unter uns? Da gewinnen Ängste bisweilen gegen Vernunft die Oberhand. Da werden Komplikationen befürchtet, Sicherheitsrisiken für die Nachbarschaft heraufbeschworen. Ganz nüchtern: Es handelt sich um 35 Asylsuchende. Die werden die Stadt nicht aus den Angeln heben.

Der Landkreis Traunstein rechnet für dieses Jahr mit knapp 700 Asylbewerbern, die untergebracht werden müssen. Fürs kommende Jahr sind rund 1.100 Asylsuchende prognostiziert. Der Landkreis ist gesetzlich verpflichtet, Asylbewerber unterzubringen.  Das Landratsamt hat dabei  keinen Einfluss auf Anzahl, Personenkreis und Zeitpunkt der Zuweisung. Derzeit gibt es im Landkreis zentrale Unterkünfte in Engelsberg, Grassau und Inzell.

Das Interesse an der außerordentlichen Ortsteilbürgerversammlung im Landgasthof Purkering war überaus groß. Trostbergs Bürgermeister Karl Schleid erläuterte, der Landkreis Traunstein habe die Stadt beauftragt, ab 1. Dezember 35 Asylbewerber im Wäschhauser Gasthaus unterzubringen – erst einmal für ein Jahr. Der Flüchtlingsstrom wird aber nicht abreißen, deshalb überlege die Stadtverwaltung, in der Kernstadt eine zentrale Unterkunft einzurichten. „Wir werden nicht bei 35 bleiben“, sagte Schleid, der in Purkering von Florian Amann und Rudolf Mühlbauer von der Abteilung Kommunales und Soziales im Landratsamt Traunstein, Pfarrer Michael Witti und Diakon Robert Münderlein vom Diakonischen Werk Traunstein unterstützt wurde.  Stadt, Kreis und die großen Amtskirchen im Schulterschluss – das ist schon mal vielversprechend. Zügig sollte der Türkisch-islamische Kulturverein noch mit ins Boot geholt werden.

Die fünf Hauptredner warben um das Verständnis der Trostberger und zählen auf ihre Solidarität.  Am 1. Dezember soll es so weit sein.  Das ist der Tag nach dem 1. Advent, Vorweihnachtszeit.  Da lag es nahe, dass Pfarrer Witti an den Bettler erinnerte, dem der Heilige Martin die Hälfte seines Mantels überließ –, und vor allem an Maria und Josef auf Herbergssuche.

Asylbewerber haben meist alles, bis auf das wenige, das sie am Leib tragen, verloren, sind oft traumatisiert – und das haben sie sich definitiv nicht so ausgesucht. Auch wenn die Umstände, wie das Gasthaus Hurmer zum Wohnheim umfunktioniert wurde und wird, nicht ganz hasenrein erscheinen: Das Haus wird nach wie vor dazu dienen, Menschen Gastfreundschaft angedeihen zu lassen. Und die zukünftigen Gäste haben das – mit Verlaub –nötiger als die der Vergangenheit.

Bürgermeister Schleid versuchte Ängste zu zerstreuen, dass das Heim ein Sicherheitsrisiko darstellen könnte:  „In puncto Sicherheit hat es im Landkreis noch keine Probleme mit Asylbewerbern gegeben, bei denen die Polizei eingreifen musste.“ In Trostberg sei Betreuungspersonal vor Ort, einen Kontaktbeamten stelle die Polizeiinspektion Trostberg. Diakon Münderlein berichtete von seinen Erfahrungen und Erlebnissen aus anderen Gemeinden und zeigte sich überzeugt, dass die Stadt die Aufnahme gut und leicht bewältigen könne.

Überraschend kommt die Zuweisung nicht. Andreas Herden, Abteilungsleiter für Gesundheit, Migration und Sozialpsychiatrie bei der Inneren Mission München, hatte schon im Sommer beim Ideenfrühstück der Grünen im Stadtkino geäußert, dass die Stadt in absehbarer Zeit damit zu rechnen habe, Asylsuchende aufnehmen zu müssen. Und auch Landrat Siegfried Walch hatte Ende Juli in Obing bei der Freisprechungsfeier der Anlagenmechaniker und Spengler aus den Innungsbezirken Traunstein und Rosenheim mehr als nur angedeutet, dass er zum einen beinah täglich mit einem Anruf aus München rechne, dass der Landkreis Asylbewerber aufzunehmen hat, und dass sich zum anderen daran auch der nördliche Landkreis beteiligen müsse.

Am Mittwoch vergangener Woche war es dann so weit: Walch unterrichtete  Schleid, dass Trostberg 35 Aslybewerber unterzubringen habe. Der Bürgermeister informierte am Donnerstag die Stadtratsfraktionen, Kirchen und Sozialverbände und berief die Ortsteilbürgerversammlung ein, um auch die Öffentlichkeit schnellstmöglich auf den aktuellen Stand zu bringen. Schleid zeigte sich erleichtert, dass der Landrat die Stadt nicht überfordern wolle. „Da ist eine relativ offene Diskussion vorhanden.“

Schleid ist  optimistisch, dass die Stadt und ihre Bürger die Aufnahme der Asylbewerber gut meistern können, und verwies auf die Gemeinde Siegsdorf, die es in kürzester Zeit geschafft habe, 200 Bewerbern ein Dach über dem Kopf zu geben. „Diese Integrationskraft haben wir auch“, sagte der Bürgermeister zuversichtlich. Die Befürchtung, die Menschen unter unmenschlichen Bedingungen unterbringen zu müssen, entkräftete Schleid:  „Es wird nicht hineingepfercht.“

Trotz einiger kritischer Stimmen überwogen in Purkering die Wortmeldungen, die Solidarität mit den Asylsuchenden einforderten und auch bereits ankündigten. Spontan erklärten sich mehrere Bürger dazu bereit, in einem Netz ehrenamtlicher Helfer daran mitzuwirken, den Asylsuchenden einen menschenwürdigen Aufenthalt in Trostberg zu ermöglichen. „Nehmen wir sie doch einfach auf“, appellierte eine Zuhörerin ans Plenum und bot spontan an, Asylbewerbern Deutschunterricht zu geben. Und der SPD-Ortsverband schrieb auf seiner Facebook-Seite: „35 Asylbewerber werden ins Gasthaus Hurmer ziehen.  Die SPD Trostberg heißt diese herzlich willkommen!“ Um diese Willkommenskultur, um die oft beschworene christliche Leitkultur, die Solidarität mit denen, die Hilfe nötig haben, wird’s in den kommenden Monaten gehen. Da hat Trostberg etwas zu schaffen.

Anregungen nimmt  im Rathaus  Alois Kellner, Leiter des Bürgerbüros, unter Tel. 08621/801-40, entgegen. Im Bürgerbüro gibt es weitere Infos.

Ortsteilbürgerversammlung zum Thema Asyl

Groß war das Interesse an der außerordentlichen Ortsteil-Bürgerversammlung.

(20. Oktober 2014)

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dipferl-logoZum Thema „Asylbewerber” hat sich der Dipferlscheißer Gedanken gemacht…

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