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Kabarettist Christoph Sieber im Postsaal

Wenn Christoph Sieber zetert, dann erinnert er an Kabarett-Großmeister Georg Schramm. Wie der scheint er Dummheit und Borniertheit persönlich zu nehmen. Fotos: fal

Kosumsediert, aber demokratiekritisch

„Hoffnungslos optimistisch“: Kabarettist Christoph Sieber nimmt im Postsaal die Untiefen der Gesellschaft aufs Korn

Von Andreas Falkinger

Was bleibt denn dem Humanisten noch? Der Optimismus. Das ist nichts Neues für eine Geisteshaltung, die grundsätzlich die Menschheit für fähig hält, zu einer besseren Existenzform zu finden. Oder zumindest danach zu streben eine zu finden. Oder es auch nur für möglich zu halten, dass eine bessere Existenzform existiert. Existieren könnte. Unverbesserlich optimistisch, diese Humanisten. Das macht den Alltag nicht leichter. Was soll so einer werden? Lichtschalterproduzent, Faxgerätehersteller. Da braucht’s schon Optimismus, um zu glauben, damit in Zukunft noch etwas bewegen zu können. Oder Kabarettist. Wie Christoph Sieber, der im Postsaal zeigte, dass er offensichtlich trotz besseren Wissens an den Menschen glaubt.

[sam id=“8″ codes=“true“]„Hoffnungslos optimistisch“ heißt Siebers Programm. Da steckt diese Ambivalenz schon im Titel. Die Hoffnung? Zuletzt gestorben. Die Basis ist tot, und trotzdem lebt er weiter, der Optimismus. Wie ein geschlachtetes Huhn. Der Kopf ist ab, aber der Körper dreht noch eine Runde. Oder wie bei manchen Facebook-Nutzern, die sich zur Flüchtlingskrise äußern. „Alles Junge Menschen gebt den eine Fahrkarte und ab nach Hause Kämpft für euer Land“ oder „An die Gutmenschen in deutschland.WAS haltet ihr als intellektuele aussenstehende vom thema intelligenz?“. Praktisch hirntot, aber die Finger hacken noch in die Tastatur, Grammatik und Rechtschreibung liegen in Agonie zusammengekrümmt darnieder, aber die Angstreflexe funktionieren noch.

Dieser Ängste der Besorgtbürger nimmt sich Sieber an, man muss sie ja ernst nehmen, man muss ihnen ja zuhören. Nicht weil man’s möchte. Aber sie sind so laut. In den sozialen Medien und in den Leserbriefspalten, wo sie ihre irrationalen Sorgen ausleben und wo sie sie den Unbesorgten mit missionarischem Eifer in die Hirne pflanzen wollen. Hoffnungslos optimistisch wie er ist, tritt Sieber den Asylkritikern mit Argumenten entgegen. Argumente gegen Logikresistenz, ein niedliches Unterfangen. „Von einem Deutschen getötet zu werden ist doch viel wahrscheinlicher als von einem Flüchtling“, sagt Sieber und verweist auf die Statistik. Tote durch Rechtsextremismus in Deutschland seit 1990: 156. Tote durch islamistischen Terror in Deutschland seit 1990: Null. „Wenn ich nachts in einer einsamen Seitengasse die Wahl zwischen 20 Asylanten und 20 Skinheads habe – ich weiß, was ich nehme.“ Die Kanzlerin habe sich jedenfalls mit ihrem „Wir schaffen das“ klar positioniert: „Um die Integration der Flüchtlinge mache ich mir keine Sorgen. Die Frage ist doch, ob wir am Ende Seehofer integriert bekommen.“ Zumal sich der neuerdings Menschenrechtstipps von Viktor Orbán hole.

Gut, man kann sie verstehen, die Ängstlichen, die Besorgten. Ihnen wurd’s lang genug vorgemacht, das Prinzip der Besitzstandswahrung, von denen, die wirklich was zu verlieren haben: die Parallelgesellschaften der Politikdarsteller, Wirtschaftskapitäne, Reichen und Superreichen. Verlustängste haben die geschickt umgeleitet, zum eigenen Wohl. Was bleibt uns? Zukunftsangst. Klimakatastrophe, Finanzkatastrophe, Flüchtlingskatastrophe. Eine einzige Katastrophe. Dann lieber gar keine Zukunft. Wir wollen Gegenwart, alles soll bleiben, wie es ist. Mein Haus, mein Auto, meine gekieste Grundstücksauffahrt. Wenn Sieber zetert, dann erinnert er an Georg Schramm. Wie der scheint er Dummheit und Borniertheit persönlich zu nehmen.

„Das Beste liegt hinter uns – das ist doch das Gefühl dieser Gesellschaft. Das Beste kommt noch – das wäre das Gefühl einer lebendigen Gesellschaft.“ Damit alles beim Alten bleibe, ignorieren wir die Realität. „2016 ist es soweit: Ein Prozent der Weltbevölkerung besitzt genauso viel wie die 99 restlichen Prozent. Das ist die Realität. Diesem einen Prozent ist es mit einer gigantischen Lügenkampagne gelungen, den 99 Prozent zu erzählen, dass das, was im Sinne des einen Prozent ist, im Sinne aller ist.“

Ruhiggestellt ist sie, die Gesellschaft, konsumsediert. Sie beschäftigt sich mit Wachstum, von dem sie weniger profitiert als das eine Prozent. Hauptsache, wir haben Wlan. Und Meinungsfreiheit verbunden mit einer galoppierenden Wissensfreiheit. Wir sind frei von Wissen, haben aber eine Meinung. Für den Rest gibt’s Wikipedia und Siri. Die kann man alles fragen, zum Beispiel, wer Bundeskanzlerin ist, falls man das mal grad nicht parat hat. „Angela ,Mutti‘ Dorothea Ferkel ist eine deutsche Lügnerin und Sklavin der USA…“, lieferte die Spracherkennungssoftware am vergangenen Freitag als Antwort aus. Danke Siri, danke Wikipedia. Was machten wir nur ohne Wlan?

Konsum, das ist unser Credo. Geld hält die Welt am Laufen. Daran glaubt die Gesellschaft, mehr als an alles andere. Weil wir „mündige Konsumenten sind“, erzählt uns die Werbung. Wobei sich Sieber sicher ist, dass Konsum und Mündigkeit in keinem inneren Zusammenhang stehen. Stehen können. Die Wirtschaft muss ihre teils sinnlosen Produkte unters Volk bringen, um sie bald durch die nächste Generation Unsinn ersetzen zu können. Verbesserter Unsinn ist aber immer noch Unsinn, der uns mit gefälligen Werbebotschaften schmackhaft gemacht wird. Glauben Sie nicht? Haben Sie schon mal das Schlagwort vom „umweltfreundlichen Auto“ gehört? Umweltfreundliches Auto, lustig. Darauf einen Winterkorn!

Mehr als 60 Prozent der Bundesbürger glauben, in Deutschland herrsche keine echte Demokratie, weil der Einfluss der Wirtschaft, die mehr zu sagen habe als der Wähler, auf die Politik zu groß sei. Sieber: „Viele reden von einer marktorientierten Demokratie. Eine Finanzoligarchie mit demokratischen Applikationen würd’s eher treffen.“ Kritik auf der einen Seite, auf der anderen Seite haben es sich aber auch knapp 60 Prozent der Wähler mit der Großen Koalition gemütlich gemacht. „Eine Demokratie braucht immer auch eine starke Opposition, weil sie sonst einer Diktatur immer ähnlicher wird. Wir sind noch 17 Prozent im Deutschen Bundestag davon entfernt.“

Hoffnungslos optimistisch, das Ganze, oder? Den Optimismus pflegt Sieber im Inneren, er bezeichnet sich selbst als Optimisten. Im Bühnenprogramm gibt er wenig Anlass zu einer positiven Weltsicht. Aber über die Pointe weist er jedes Mal den Weg zum befreiten Lachen. Wie sagte Sieber in einem Interview? „Wir können durch das Lachen die Probleme nicht lösen, aber vielleicht gelingt es uns, sie dadurch für lösbar zu halten.“ Bei aller Hoffnungslosigkeit – das hört sich doch einigermaßen optimistisch an.

 

(27. September 2015)

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