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Der Asylbewerber – ein Fall für den Dipferlscheißer

Ist Sprache Ausdruck des Denkens? Blöde Frage? Natürlich? Na, dann darf uns ja angst und bang sein.  Vor uns selbst. Sprache als Spiegel des Denkens, der Mentalität. Wenn das stimmt – und davon ist auszugehen –, dann mögen wir’s entweder gern gedankenlos, wir sind abgestumpft oder wir haben uns vom fortgesetzten Sprachmissbrauch berufspolitischer Pseudo-Vordenker einlullen lassen. Anders ist das nicht zu erklären.

Trostberg Orgelpfeifer Dipferl Logo Kommentar DipferlscheißerWas ist ein „Bewerber“? Ein Mensch, der sich um etwas bewirbt. Um einen Ausbildungs- oder Praktikumsplatz, um eine Arbeitsstelle. Oder um die Hand seiner Angebeteten. Oder um die Teilnahme bei „Wer wird Millionär?“. Wenn der Bewerber die Ausbildungs-, Praktikums- oder Arbeitsstelle nicht bekommt, dann bewirbt er sich halt für eine andere. Wenn die Frau seiner Träume ihn nicht erhört, dann erkennt der Bewerber ziemlich zügig, dass auch andere Mütter schöne Töchter haben. Und wenn Jauch ihn nicht nimmt, dann probiert er’s halt bei Pilawa. Nicht so schlimm. Neues Spiel, neues Glück, nächster Versuch.

Ein Bewerber ist also einer, der die zweite Chance nutzen kann. Und wenn die nicht, dann die dritte. Er muss es nur probieren und wollen. Und: Wer sich bewirbt, der hat eine Wahl. Bevor er sich bewirbt, trifft er eine Entscheidung, eine Auswahl. Die Entscheidung, was er will, und die Auswahl, wo er es will. Ein Bewerber ist erst einmal aktiv – wie die Bewerbung ausgeht, entscheiden andere.

Das ist die Basis. Wie um Himmels willen kommen wir dann dazu, von „Asylbewerbern“ zu sprechen? Wo genau liegt für Flüchtlinge die Wahlmöglichkeit? Zwischen daheim bleiben und draufgehen oder alles zurücklassen und irgendwohin fliehen, wo sie keiner versteht und womöglich keiner will? Wer die Wahl hat, hat die Qual. Die Wahl zwischen Qual und Qual. Tolle Alternativen. Aber noch gravierender ist doch: Das Wort „Asylbewerber“ redet uns ein, dass sich Flüchtlinge um Asyl bewerben müssen. Das ist – mit Verlaub – schlicht politsprechverkleisterter Blödsinn. Und keiner hinterfragt diesen Blödsinn. Weil’s angenehmer ist, nicht drüber nachdenken zu müssen. Ja, Sprache ist Ausdruck des Denkens. Sie kann aber auch Ausdruck sorgsam gepflegter Gedankenlosigkeit sein.

Das Recht auf Asyl ist im Grundgesetz verankert. Es ist ein Grundrecht wie der Schutz des Briefgeheimnisses und der Menschenwürde. Gibt’s Briefgeheimnisbewerber? Oder gar Menschenwürdebewerber? Das setzte doch voraus, dass der Urzustand des Menschen ein rechtloser ist, das Recht auf Briefgeheimnis und Menschenwürde müsse er sich erst erwerben, eine übergeordnete Stelle könne ihm diese Rechte gewähren. Oder aber auch verweigern, wenn’s ihr zupasskommt. Was für ein verqueres Menschenbild. Grundrechte werden uns nicht von einem Staat verliehen. Die haben wir.

[sam id=“8″ codes=“true“]Sicher, der Asylrechtsbegriff ist in den vergangenen Jahrzehnten schwer gebeutelt worden. In seiner reinen – auch in seiner ethisch reinen – Form hatten die Mitglieder des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee das Recht auf Asyl in ihren Verfassungsentwurf hineingeschrieben. Die hatten Flüchtlingselend hautnah erlebt. Doch die Erinnerung daran verblasste. Anfang der 70er Jahre kam plötzlich nicht mehr nur eine überschaubare Anzahl von Flüchtlingen aus Osteuropa, da gab’s politische Umwälzungen in Asien und Afrika, die Flüchtlingsströme in Richtung Europa auslösten. Das war der Zeitpunkt, an dem das Asylrecht seine Unschuld verlor. Nicht aus eigener Unzulänglichkeit, sondern wegen Politikern, die nationale Interessen oder das, was sie dafür hielten, über humanitäre Pflichten stellten. 1993 wurde mit dem so genannten Asylkompromiss das Grundrecht auf Asyl faktisch abgeschafft. Dass diese Grundgesetzänderung dem Bundesverfassungsgericht standhielt, ändert nichts daran, dass der Artikel 16a des Grundgesetzes nichts anderes als ein Asylverweigerungsparagraf ist.

Sei es, wie es wolle. Das Wort „Asylbewerber“ zeigt, wie die Gesellschaft über solche Menschen denkt. „Bewirb dich mal schön, dann schauen wir mal.“ Die Bezeichnung ist menschenverachtend – und noch dazu falsch. Derjenige, der es bis nach Wäschhausen geschafft hat, der muss sich nicht um Asyl bewerben, denn er hat es bereits gefunden. Wenn überhaupt, dann bewirbt er sich um eine Aufenthalts-, Arbeits-, Niederlassungs- oder Daueraufenthaltserlaubnis. Und das befreien wir jetzt noch vom verwaltungsjuristischen Geblubber. Es geht um Menschen, nicht um Verfahren. Den Blick darauf sollten wir uns nicht verstellen. Die, die da kommen, sind keine Asylbewerber. Es sind Menschen, die Hilfe brauchen.

Dipferlscheißer vom Dienst (DvD): Andreas Falkinger

(25. Oktober 2014)

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Trostberg Orgelpfeifer Ortsteil-Bürgerversammlung Heiligkreuz zum Thema AsylbewerberDer Dipferlscheißer bezieht sich auf den Artikel „Nehmen wir sie doch einfach auf“.

1 Kommentar

  1. Danke Sam für diesen Kommentar. Wäre schön, wenn das auch alle in der Zeitung lesen könnten.
    LG
    Gisa

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