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Simon Meyer als Mephisto und Gottfried Putz als Faust.

Der verjüngte Faust (Gottfried Putz) besteht darauf, dass Mephisto ihm vertragsgemäß zu Diensten ist. Fotos: fal

’S Lebn is grea, grad wia de Baam

Junge Buehne gibt den bairischen „Faust“: Kraft- und saftstrotzende Tragödie mit großartigen Darstellern

Von Andreas Falkinger

Er ist „ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“. Beziehungsweise: „I bin de Kraft, de alle Welt zum Schlechtn zwingt und bloß des Guade firtebringt.“ Genauso ist’s. So und nicht anders. Mephistopheles alias Simon Meyer bringt „bloß des Guade firte“. Und seine Schauspielerkollegen von der Jungen Buehne Trostberg nicht minder. Dem Ensemble ist eine großartige „Faust“-Inszenierung gelungen, nicht zuletzt durchs Bairische volksnah, dennoch nicht plump oder gar ins Komödienstadlhafte abgleitend.

[sam id=“8″ codes=“true“] „Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens goldner Baum.“ Grün. Der goldene Baum. Der Goethe. Was hat der nicht für Zeugs geschrieben, damit seine Knittel- und Madrigalverse, seine Vierheber und Fünftakter, seine Alexandriner und Jamben nicht hinken. „Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.“ Als wie. Das schreib mal im Deutschaufsatz. Da ist der Hesse mit dem Goethe durchgegangen. „Ach neige, du Schmerzensreiche“ reimt sich auch nur, wenn man’s Hessisch babbelt – „ach neische, du Schmerzensreische“. Da ist’s durchaus legitim, den Klassiker – so wie’s die Autoren Thomas Stammberger und Johannes Reitmeier gemacht haben – ins Bairische zu übersetzen: „Muatta, kimm, um mi steht‘s schlimm, hilf ma auf in meiner Angst.“ Manches gewinnt sogar noch an Kraft, in der Theorie wie in der Praxis: „Ja, Bursch, de Theorie is grau, doch ’s Lebn is grea, grad wia de Baam.“

Diese zusätzliche Kraft, die der Stoff durch den Dialekt zulegt, hat die Junge Buehne aufgenommen, mehr noch: Sie hat sie potenziert. Saftstrotzend, dramatisch, witzig, tragisch – das Leben, das im „Faust“ steckt, bringen die Regisseure Meyer, Putzi Ober, Bettina Stadelmann und Gottfried Putz und ihr Ensemble auf die Postsaal-Bretter.

Es ist ja nicht so, dass der Faust – als Schullektüre genossen – immer uneingeschränkte Lust bereitet. Das zieht sich. Die Stammberger-Reitmeiersche Bearbeitung schafft es, des Pudels Kern der Tragödie zu destillieren. Bis zum Schluss. Bis auf den Schluss. Der scheint die Quintessenz, die Apotheose Fausts ins Gegenteil zu verkehren. Aber dafür kann die Junge Buehne nichts. Das moralistische Schwarz-Weiß ist ein dramaturgischer Kniff, den der Stoff eigentlich nicht zulässt. Zu deutlich ist der Eindruck, dass Gretl ganz auf der Seite des Herrgotts (Maciej Kuczynski) steht und Faust mit Haut und Haar dem Teufel verfallen ist. Das mag diejenigen, die der Auffassung sind, es existiere das abgrundtief Böse ohne den Hauch einer guten Schattierung und dieses Nur-Böse sei ohne Wenn und Aber zu bestrafen, befriedigen. Darum aber ging’s Goethe in seiner Bearbeitung des Stoffes so gar nicht. Das ist die Schwäche des bayrischen Schauspiels. Aber nur das.

Meyers Mephisto ist diabolisch, boshaft, desillusioniert, zynisch, er schmeichelt und ist hämisch, devot und herrisch. Dieser Mephisto schillert, Meyer spielt alle Dimensionen aus. In Gottfried Putz als Doktor Faust hat er ein ebenbürtiges Gegenüber. Auch der lotet fein die Untiefen seiner Rolle aus – als hochmütiger wie selbstzweifelnder Gelehrter, als naturverliebter Theoretiker und Schwärmer, als Stutz und Stenz und armer Sünder. Alle Facetten dürfen diese beiden Hauptakteure zeigen, die Nebendarsteller sind eher eindimensional angelegt – Valentin (Sepp Karmann) ist dem traditionell-männlichen Ehrbegriff verhaftet, Wagner (Günter Hausner) seinem Dasein als Gelehrten-Groupie, Marthe (Putzi Ober) ist die gierige Ichbezogene, die Hexen (Ober, Stadelmann, Dany Wröbel, Waltraud Hamperl, Petra Ecker, Eva Müller, Angela Hamberger, Brigitte Bartl und Irmi Mußner) sind eben Hexen und die Zecher in Auerbachs Keller (Fritz Mayer, Wolfgang Seitz, Toni Anwander, Max Amersberger, Roland Kurz) sind – nun eben Zecher. Laura Fugger ist das tratschende, unbekümmerte Mädel und Rupert Englbrechtinger der Famulus, der über Geld und aufgesetzten Wissensdurst verfügt. Das reicht, verstellt nicht den Blick aufs Wesentliche und das ist alles gut so. Sehr gut.

Aus der Eindimensionalität ausbrechen darf lediglich Gretl (Evi Bräther). Die von Faust heiß begehrte 14-Jährige steht zu Anfang der Tragödie für Anstand und Gottesfurcht, für Naivität, Unschuld und Reinheit. Bräther legt ihre Gretl entsprechend weinerlich an, weinerlich beinah bis zum Überdruss. Doch genau über diese schier penetrante Larmoyanz, die einer 14-Jährigen auch zukommt, arbeitet sie den Schock des sündhaften Erwachsenwerdens bis zum Wahnsinn umso glaubwürdiger, umso greifbarer heraus.

Stimmig ist auch die Szenerie des Schauspiels – dank Bühnenbild (Amersberger, Wimmer, Mayer) und Licht- und Tontechnik (Florian Meyer, Daniel Kollmeier). Studierzimmer, Himmel, Mondnacht, Wirtsstube samt Knalleffekten, Hexenküche, Straße, Gretls Kammer, der Garten der Nachbarin, Kerker – alles wird mit wenigen Utensilien und äußerst geschicktem Einsatz von Licht und Nebel in Szene gesetzt. Die Schauspieler müssen sich im Umfeld nur noch heimisch fühlen – und das tun sie.

Die Junge Buehne hat ein Schauspiel auf die Beine gestellt, das den Zuschauer von der ersten Szene an vergessen lässt, dass die Darsteller auf der Bühne einen kleinen Nebenjob zum Broterwerb ausfüllen müssen. Mit sagenhaftem Engagement und Lust am Spiel gelingt dem Ensemble eine großartige Inszenierung. Uneingeschränkt sehenswert.

Zwei Mal noch führt die Junge Buhne ihren „Faust“ auf – am Freitag, 22., und am Samstag, 23. April, jeweils um 20 Uhr im Postsaal.

(18. April 2016)