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Zimmerschied berserkert sich wie eh und je durchs Programm

Der anfängliche Anflug von Altersmilde täuscht. Sigi Zimmerschied berserkert sich wie eh und je durch sein Programm. Fotos: fal

Der Inn steigt, der Zimmerschied schwillt an

Der Kabarettist zeigte sein aktuelles Programm „Tendenz steigend“ im Postsaal: Eine große, eine großartige Metapher

Von Andreas Falkinger

Lieblich. Damit ist nicht zu rechnen gewesen. Sigi Zimmerschied singt ein Loblied auf Kirche und Politik. Bei Mario Barth entschuldigt er sich gar für seine Kritik am flachwitzelnden Comedian. Hat der Passauer seinen Frieden gemacht mit Pfaffen, CSU, „Finanzindustrie“ und seichter Unterhaltung? Fast scheint’s so, wenn man ihm so zuhört bei seinem aktuellen Programm „Tendenz steigend“, das der Niederbayer im Postsaal aufgeführt hat.

[sam id=“8″ codes=“true“]Aber keine Sorge, Zimmerschied will nur spielen, der macht nur Spaß. Weil er eben keine Spaßettln macht. Milde fängt er an, Altersmilde könnte man ihm ja durchaus zugestehen, so lange wie er schon auf den Kabarettbühnen wütet. Da muss doch die Luft irgendwann raus sein. Müsste. Ist sie aber nicht. „Tendenz steigend“ ist ein sauber austariertes, dramaturgisch anschwellendes Ein-Mann-Bühnenstück. Die Schublade „Kabarett“ ist zu klein geworden für das, was Zimmerschied auf die Bretter legt. Er In eineinhalb Stunden geht’s von Höhen in Tiefen in Untiefen in Höhen. Und am Ende weiß der Zuschauer: Die nächste Tiefe kommt mit tödlicher Sicherheit. „Tendenz steigend“ ist ein kabarettistisch kulminiertes Abbild des Daseins, eine große, eine großartige Metapher.

Das Leben des Bühnencharakters Zimmerschied folgt dem Auf und Ab. „Automatische Telefonansage, Pegel Passau Inn: 1 7 5. Tendenz: gleichbleibend!“ Es ist alles in Ordnung, es lebt sich friedfertig, leicht. Alles ist intakt, die Fassade sauber, Zimmerschied lieblich. Da tut er, was er selten tut: er lobt. Den Bischof Oster zum Beispiel. Zimmerschied lobt die Kirche? Nicht Zimmerschied selbst, seine Bühnenfigur. Wegen des frischen Winds, den der Bischof mitbringt, fern aller Dogmatik. Der lebt in einer WG, mit einem Mitbruder, einer Klosterschwester und einer Archivarin. Ganz neue Lebensformen, die da in die Kirche eindiffundieren. Revolución. „Das ist doch Kuba. Saublöd gelaufen für einen Kabarettisten.“ Da muss man doch begeistert sein. Die Kruste bricht auf, die liebgewordenen Feindbilder brechen weg. Traumatisierte Syrer, nigerianische Christen, homosexuelle Russen – nur alle her damit. Wir schaffen das. Und Österreicher, auch her damit. Obwohl…

Zimmerschied zelebriert seine Aufgeräumtheit auch sprachlich – das i wird ob seines freundlichen Klangs zum Lieblingsbuchstaben. Der liebritzende Wiehbischif hat’s ihm so angetan. Und die liebe Familie. Keine Feindbilder mehr, alles ist eitel Sonnenschein, nein Sinnenschein am lieben Inn. Aber. „Pegel Passau Inn: 2 4 5. Tendenz: steigend.“ Die Stimmung trübt sich ein. Die Bischofs-WG? Ein bisserl seltsam ist die schon. Die Familie? Bietet Anlass zu leichter Kritik. Die CSU? Sowieso. Der Passauer Bettler, dem er in seiner grundgütigen Aufgeräumtheit schon mal einen Zwanzger zusteckt? Wird langsam unverschämt. Je höher der Inn steigt, desto niedriger die Frustrationstoleranz. Die Hemmschwelle sinkt, Zimmerschied stichelt erst, dann schimpft er, die Dämme brechen. Das i spielt eine untergeordnete Rolle, er ist jetzt eher ein dumpfer Zämmerrrschäd.

Der Pegel steigt, zehn Meter, die Aluelemente werden montiert, Schaumstofflippe nach unten. Wenigstens kann man sich auf die Familie verlassen. Grad hat sie zwar keine Zeit, aber beim nächsten Mal dann. Vielleicht. Die Tochter, die eine gleichgeschlechtliche Beziehung pflegt, einen rumänischen Straßenköter namens Caligula und einen Reagenzglasbalg namens Nelson Elton Maria. So sind sie, die jungen Eltern, immer ein bisserl überambitioniert, schon bei der Namenssuche. Nelson Elton Maria – „das ist Freiheitskampf, ,Candle in the Wind‘ und Katholizismus“. Die haben dem Kind eine ordentliche Hypothek aufgehalst – aber: „Aus Tarzan ist ja auch was geworden. Und den haben Affen aufgezogen.“ Und dann ist da noch der Orientalistik studierende Bub, der auf Facebook als „Cyber-Kalif“ firmiert. Lauter Versager. Zimmerschied schimpft nicht mehr, er tobt, er geifert, er berserkert. Sein Monolog ist wortgewordene Panikattacke, ungerecht, blindwütig, unberechenbar. Die anfangs aufgehübschte Fassade? Die hat’s weggerissen, ist den Bach runtergegangen, ab in Richtung Caligulas Heimat, Endstation Schwarzes Meer.

Zimmerschied fordert sein Publikum. Zurücklehnen und berieseln lassen? Das geht nicht. Erst ist es irritiert, weil er so versöhnlich daherkommt. Sobald es begriffen hat, wohin der Hase läuft, bezieht es Zimmerschied ein. Er fordert aktive Beteiligung, er will Antworten. Und dann geht er in den Zuschauerraum, verwickelt einzelne in seinen Monolog. Zu sagen braucht keiner was, aber unwohl ist dabei jedem Betroffenen. Zimmerschied ordnet die Zuschauer Kategorien zu – kann man in einer Extremsituation wie einem Jahrhunderthochwasser brauchen. Oder man kann sie nicht brauchen.

Da gibt’s im Publikum den Prototypen des CSU-Politikers, adrett gekleidet, die Haare leicht gegelt. Dekorbewusst, aber der Denkapparat ist halt nicht ausentwickelt. Oder der ausgemergelte Charismatiker, der Verzicht kennt und trotzdem Spaß am Leben und eine grundsätzliche Bereitschaft zum Lachen hat – Glück gehabt, da hat der Zimmerschied mich ins Visier genommen. Untrüglicher Indikator für die Brauchbarkeit des Mitbürgers: Wie viele Apps hat er auf seinem Handy? Je mehr, desto unwahrscheinlicher ist es, dass er selbstständig atmen kann. Der braucht dann schon metaphysische Ankerpunkte wie Pegida, Al Kaida oder den fränkischen Fasching. Über den Ich-schwachen Karrieristen verfügen 30 oder mehr Apps. Und noch mehr Apps können nicht drüber hinwegtäuschen: „Depp bleibt Depp.“ Und der Depp zeichnet sich durch sendungsbewusste Selbstvermarktungsstrategien aus, bevorzugt über „soziale Medien“ wie Facebook und Twitter. „Wer das für sozialen Fortschritt hält, der ist intellektuell auf Fliegenniveau. Die halten auch jeden Scheißhaufen für eine Kommunikationsplattform.“

„Pegel Passau Inn: 7 1 5 – Tendenz: fallend.“ Die Wogen glätten sich. Die Fassade wird geflickt und neu gestrichen. Das Lächeln vom Wiehbischif, das ist doch nett. Der Cyber-Kalif ist gar nicht mehr so arg, in den Dschihad wird der eh nicht ziehen, weil er ja doch eher für sitzende Tätigkeiten geeignet ist. Seine Talente kann er genauso als Immobilienanlageberater ausleben. Der wird schon noch ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft. Ja gut, wertvoll. Soweit muss die Milde auch wieder nicht gehen. Und außerdem: Das nächste Jahrhunderthochwasser kommt bestimmt. Tendenz: steigend.

 

(25. Oktober 2015)

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